Jugendlich und wagemutig, so sehe ich mich gern. Raus aus den ausgetretenen Pfaden, mal was ausprobieren, spontan sein - was Best Agerinnen und Best Ager halt so machen. Schließlich ist 60 das neue 40. Habe ich zumindest gelesen. Allerdings merke ich mitunter, dass Theorie und Praxis auseinanderklaffen. Jüngst hat mir eine Bekannte berichtet, dass sie unverhofft ein freies Wochenende hatte und Lust verspürte, einen Ausflug in eine zwei Autostunden entfernte Stadt zu unternehmen. Ihre Freundinnen hätten sie gern begleitet, aber es fehlte ihnen an Zeit.
Also machte sich die Bekannte allein im Kleinwagen auf den Weg. In der besuchten Stadt gefiel es ihr prächtig, sie stromerte durch die Straßen, besuchte Geschäfte, schaute sich Sehenswürdigkeiten an und gönnte sich eine ausgiebige Teestunde in einem Café mit erstklassigen Torten. Dann stieß sie auf ein Museum, in dem eine Ausstellung lief, die sie mächtig interessierte. Allein: Inzwischen dämmerte schon der Abend, das Haus war geschlossen und sollte erst tags darauf um 10 Uhr wieder öffnen.
Meine Bekannte überlegte nicht lange, sondern beschloss, sich die Ausstellung nicht entgehen zu lassen. Nach Hause fahren wollte sie nicht, ein günstiges Hotel fand sie nicht. Also entschied sie, im Twingo, Jahrgang 2006, zu übernachten. Sie habe mehrere Jacken im Auto gehabt, dazu eine Decke und ein kleines Kissen, sagt sie. So richtete sie sich für die Nacht ein. Am nächsten Morgen war sie die erste Besucherin in der Ausstellung.
Als ich diese Geschichte hörte, war ich beeindruckt - und ein bisschen neidisch. Ich gebe zu, im Auto zu schlafen, das hätte ich denn doch nicht gewagt. Wegen des Platzmangels, wegen der Nachtkühle, wegen der Unbequemlichkeit und auch wegen der Gefahr, unsanft geweckt zu werden. Es ist wohl nicht so weit her mit meiner Jugendlichkeit und meinem Wagemut.
Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass die Bekannte erst in den 40ern ist. Und das sind sozusagen die neuen 20er. Da kann ich nicht mithalten. Oder ist das nur eine Ausrede?