Für alle Bewohner und Beobachter, für alle Begleiter und Basher des Bremerhavener Stadtteils Lehe gibt es einen reizvollen digitalen Lektüre-Tipp: Der Foto-Künstler und Neu-Bremerhavener Thomas Damson hat dem teils geliebten und oft gemiedenen Problem-Viertel der Stadt einen bemerkenswerten Beitrag in seinem Blog gewidmet.
Das digitale Angebot heißt „AMWASSER fotoblog“. Den Anspruch seines Blogs hat Damson so formuliert: „Leben im Norden. Leben am Wasser. Von Sonne, Wind und anderem. Professionelle Fotografie. Ehrliche Geschichten. Das echte Leben.“
Der Fotograf nähert sich Lehe in Bildern wie in Worten vorurteilsfrei
Dem wird sein neues Posting in einer Weise gerecht, die man so stimmig und wertig in Blogs nur selten findet: Damson gelingt es, sich Lehe in Bildern wie in Worten fair und vorurteilsfrei zu nähern sowie kenntnisreich und gewinnbringend zu widmen. Schon der Titel seines Blogposts zeigt, wie differenzierend er das tut: „Bremerhavens vergessene Altstadt Lehe: Vielfältig schön. Etwas zerzaust. Ziemlich arm.“
Damson zeigt darin seine Sicht auf Lehe in 46 (!) Bildern. Sie sind im typischen Damson-Stil gehalten: Ruhig und kraftvoll. Blitzsauber fotografiert und bewusst gestaltet. Farbenfroh, aber nicht bunt. Eindringlich, aber nie eindringend. Immer klug beobachtend, nie bewertend.
Damson möchte Lehe beschreiben, nicht herabwürdigen
Der Betrachter der ruhigen Bilderstrecke merkt rasch: Damson möchte Lehe mit seinen Fotos zeigen, aber nicht klassifizieren, und schon gar nicht herabwürdigen.
Im Gegenteil: Wer Lehe nicht mag oder das alte Lehe vermisst, wird überrascht sein, wie viel Schönes mit der Damson-Perspektive auch in diesem Stadtteil auch heute noch zu sehen ist.
Nein, der Fotograf unterschlägt das schäbige, das bröckelnde, das traurige Lehe optisch nicht. Mehr aber zeigt uns Damson die architektonische und urbane Kraft, die in diesem Quartier steckte und immer noch steckt.
Wenig Menschen - die Häuser und Straßen zeigen ihr Wesen
Manch einer wird sich mehr Leben auf den Bildern wünschen. Es ist aber Damsons Stil, sich auf Gebäude für Menschen zu konzentrieren statt Gebäude mit Menschen zu dekorieren.
Etliche der Lehe-Bilder entfalten gerade deshalb eine starke Kraft: Die Häuser und Straßen zeigen ihr Wesen. Nichts lenkt ab. Es ist Lehe pur.
Die Kraft der vielen Bilder vermählt sich im Blog gleichsam auf Augenhöhe mit einem ausführlichen, aber mit Gewinn lesbaren Text des Fotografen über Lehe.
"In Lehe gab es alles! Lehe war der Mittelpunkt der Hafenstadt"
Damson, der seit Anfang 2020 in Bremerhaven lebt, beschreibt darin gut nachvollziehbar, wie und warum sich Lehe vom ländlichen Dorf zum städtischen Zentrum des sich stürmisch entwickelnden Bremerhavens wandelte. Gänzlich unnostalgisch erinnert Damson an die große Zeit Lehes – auch hier wieder beschreibend, nicht beklagend.
Kostprobe: „In Lehe gab es alles! Und wer etwas auf sich hielt, wohnte selbstverständlich im prachtvollen Lehe inmitten größter Aufenthalts- und Lebensqualität. Lehe mit seinem Goethequartier und der Hafenstraße war bis in die siebziger Jahre für die Bremerhavener der unerklärte Nabel der Welt und Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Hafenstadt.“
Für Damson hat die "Neue Mitte" das einst prachtvolle Lehe ausgeweidet
Damson analysiert aber auch, weshalb das nicht mehr so ist. Warum der Stadtteil zu „dieser großen Wunde namens Hafenstraße und Lehe“ wurde.
Für ihn hat die „Neue Mitte, die bis heute nie zur wirklichen Mitte wurde“, Lehe gleichsam ausgeweidet: „Das einst prachtvolle Lehe war zum Patienten geworden, dessen wichtigste Organe am Ende der Operation entnommen waren.“ Und dann hatte der Stadtteil, so Damsons Einschätzung, der Werften- und Fischereikrise Bremerhavens keine Widerstandskraft mehr entgegenzusetzen.
Bewusst viel zu Fuß und mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs
Der nachdenkliche Fotograf, der der Entdeckungen wegen in der Stadt viel zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs ist, wünscht sich statt neuer Stadtteile eine grundlegende Kurskorrektur.
Er wirbt für „die Pflege und Wiedererstarkung der im Kern sehr attraktiven Altstadt Lehe mit zukunftsorientierten Konzepten für Bauen im Bestand“. Er wünscht sich Konzepte, die „die Innenstädte mit Wohn- und Aufenthaltsqualität statt mit Parkplätzen und breiten Straßen füllen“.
Die Menschen möchten die Städte für sich zurückhaben
Damson: „Die Menschen, die in den Städten leben, möchten diese für sich zurückhaben.“
Befürworter wie Skeptiker solcher Ideen, aber auch Fans wie Meider von Lehe sollten Damsons Blogpost lesen.

Die zwei Seiten von Lehe: Mal mutet es dort idyllisch an...
Foto: Thomas Damson

... dann wieder künden die Häuser dort von den Problemen, die sich in diesem Stadtteil Bremerhavens ballen.
Foto: Thomas Damson

"Mit Verachtung oder mit Menschen?" Ein Plakat von Misereor an einem Garagenhof in Lehe, das sinnbildlich für das Kernthema im Blog von Fotograf Thomas Damson steht.
Foto: Thomas Damson