Es beginnt schon ganz früh am Morgen. Dann, wenn wir einen Blick auf den Kalender werfen, seufzend feststellen, dass es ein Wochentag ist, uns über die Treppe ins Parterre bewegen und im Bad die Zahnbürste in den Mund schieben. Es zieht sich nicht nur über den gesamten weiteren Tag hinweg, es begleitet uns sogar bis zum endgültigen Abschied in hoffentlich ferner Zukunft.
Normen haben sich über die Jahrzehnte zu einer Art Eichmaß der Zivilisation entwickelt. Sie begegnen uns nicht nur, wenn wir das klassische DIN A4-Papierblatt aus dem Drucker nehmen, sondern an unglaublich vielen Stellen im Alltag. Was dahintersteht, zeigen wir jetzt ebenso auf wie wir einen Einblick in besonders interessante – und in der Breite eher unbekannte – Normungen geben.
Sinnvolle Einheitlichkeit: Warum Normen aufkamen
Manchem mag der Gedanke an so viel Konformität eher unangenehm sein. Schließlich ist der Mensch, zumindest zu gewissen Teilen, ein Individuum. Allerdings muss bei allem Hang zu Nonkonformismus und Individualität eines festgestellt werden: Gerade in der heutigen Welt mit zirka 200 unterschiedlichen Nationen (und Gesetzgebungen), etwa 7.000 Sprachen, einer zutiefst globalisierten Wirtschaft und Milliarden von unterschiedlichen Waren, Produkten und Prozessen ist Einheitlichkeit eines der wenigen Dinge, das alles funktionieren lässt.
Das war schon so, als während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert die ersten Normen nach heutigem Verständnis aufkamen. Damals war der Brite Joseph Whitworth der erste, der ein Schraubengewinde ersann, das nicht nur in einer einzelnen Fabrik zum Standard wurde. Als „British Standard Whitworth“ ist es mit festgelegten Winkeln, Steigungen und anderen Maßen bis heute ein wichtiger Garant dafür, dass eine Mutter aus Fabrik X mit einer Schraube aus Fabrik Y zusammenpasst – wobei „BSW“ absolut nicht die einzige Gewindenorm ist.
Warum damals in der Industrialisierung Normen aufkamen und sich bis heute halten, ist leicht erklärt:
- Einheitlichkeit und somit Vorhersagbarkeit und Funktionalität über alle unterschiedlichen Grenzen hinweg.
- Vermeidung unnötiger, vielleicht sogar schädlicher Monopole.
- Gleichbleibende Qualität und Sicherheit sowie deren Messbarkeit.
- Vermeidung überflüssiger Arbeit und somit Kosten.
Man stelle sich kurz eine Welt vor, in der beispielsweise Druckerpapier nicht genormt wäre. Chaos wäre vorprogrammiert, weil wohl jeder Papier- und Druckerhersteller versuchen würde, eigene Prinzipien zu etablieren. Das hätte sogar Auswirkungen auf die Formatierung im digitalen Schreibprogramm.
Auf einen einfachen Satz heruntergebrochen: Normen machen eine zunehmend komplexere, diversifiziertere Welt an wichtigen Stellen einheitlicher, übersichtlicher und berechenbarer.

Ebenfalls eine Norm mit Sinn: Die einheitlichen Symbole auf den Schildchen von Kleidung, um alles zwischen Waschtemperatur und Bügeln richtig zu machen. Foto: stock.adobe.com © Grafvision
Normen, Institute und Gesetze
Es gibt heute kaum noch ein Land, das nicht über ein eigenes Normungsinstitut verfügt. Damit genau das aber nicht den Grundgedanken der Einheitlichkeit konterkariert, gibt es staatsübergreifende Zusammenschlüsse. Die in globaler Betrachtung und für uns wichtigsten Systeme sind diese:
- DIN: Normen, die vom Deutschen Institut für Normung erarbeitet wurden.
- EN: Diese Normen wurden von einer der europäischen Normungsorganisationen (CEN, CENELEC oder ETSI) erarbeitet.
- ISO: Hierhinter steht die International Organization für Standardization.
Weitere wichtige Stellen sind der VDE, der mit dem DIN Normen für den Bereich Elektrik/Elektronik erarbeitet. Die ITU für internationale Fernmeldestandards sowie die IEC. Sie arbeitet ähnlich wie die ISO, ist aber nur für Elektrik/Elektronik zuständig – was wiederum die ISO nicht ist.
In der EU ist es relativ unkompliziert. Hier müssen alle Mitglieder eine Europa-Norm in nationale Normen umsetzen. Das soll der Einheitlichkeit im Staatenbund Vorschub leisten. Falls eine EN in Zusammenarbeit mit der ISO entstand (was häufig vorkommt), dann führt das zu Situationen, in denen es eine DIN EN ISO gibt. Das ist beispielsweise bei der Nummer 5817 der Fall. Hierdurch wird Schweißen in all seiner Vielfalt international standardisiert.
Manchem stellt sich hier vielleicht die Gretchenfrage: Welche Macht haben Normen? Sind sie Gesetze, an die sich jeder halten muss? Prinzipiell ist die Antwort auf Letzteres ein klares Nein. Die allermeisten Normungsinstitute sind unabhängige, nichtstaatliche Organisationen. Oftmals Vereine oder als gemeinnützig anerkannte Gesellschaften.
Manchem stellt sich hier vielleicht die Gretchenfrage: Welche Macht haben Normen? Sind sie Gesetze, an die sich jeder halten muss? Prinzipiell ist die Antwort auf Letzteres ein klares Nein. Die allermeisten Normungsinstitute sind unabhängige, nichtstaatliche Organisationen. Oftmals Vereine oder als gemeinnützig anerkannte Gesellschaften.
- Grundsätzlich sind Normen erst einmal nur von Experten ihres Fachs ausgearbeitete Standards.
- Im Grundzustand ist eine veröffentlichte Norm entweder generell freiwillig zu applizieren oder durch diverse Mechanismen nur für Mitglieder bestimmter Gruppierungen verpflichtend – etwa Kammern oder Berufsgenossenschaften.
Allerdings kann es auch völlig anders aussehen: Normen sind, wie erwähnt, das Ergebnis von äußerst seriöser Expertenarbeit. Dadurch gab es schon unzählige Fälle, in denen sich entsprechende Gesetze sehr dicht oder gar 1:1 an einer Norm orientierten. In dem Fall wird daraus also ein vollwertiger Gesetzescharakter. Bloß wurden die Details nicht von irgendwelchen politischen Ausschüssen erarbeitet, sondern eben den Normungsinstituten.
Ein brandaktuelles Beispiel ist das Thema Verpackungen. Ein eigenes Thema mit festgelegten Begriffen. Das dahinterstehende Deutsche Verpackungsgesetz stützt sich explizit unter anderem auf die DIN EN 13430, was die Recyclingfähigkeit anbelangt. Diese Norm ist deshalb zwar für sich kein Gesetz, hat aber durch die Anwendung im Verpackungsgesetz Gesetzescharakter.
Von Uhrzeit bis Tee: Wichtige und kuriose Normen in unserem Alltag
Wie bereits eingangs erwähnt: Manchen wird es überraschen, wie viele Normen maßgeblichen Einfluss auf unser Leben haben, ohne dass wir es wirklich mitbekommen. Nicht zuletzt liegt das vielfach daran, weil es durch Normungen schlichtweg keine bekannten Alternativen gibt. Beispielsweise gibt es aufgrund der Normen DIN EN 228 und -590 ausschließlich einheitliche Otto- und Dieselkraftstoffe an den Zapfsäulen. Egal, wo man Kraftstoff tankt, immer wird das Auto dadurch mit dem „Sprit“ funktionieren.
Weitere Normen:
DIN 5008
Diese Norm definiert sehr umfangreich diverse Schreib- und Textgestaltungsregeln. Daraus geht beispielsweise hervor, wie welche Abkürzungen zu schreiben sind oder wie ein Formbrief auszusehen hat.
ISO 8601 bzw. EN 28601
Aufgrund dieser beiden Normen gibt es eine weltweit einheitliche Vorgabe für Zeiteinheiten. Die beiden für uns wichtigsten Details:
- Eine Kalenderwoche wird definiert als ein „Zeitintervall von sieben Tagen, das an einem Montag beginnt“. Sehr wichtig, weil insbesondere der Wochenanfang global recht unterschiedlich gehandhabt wird.
- Uhrzeit und Datum werden in einheitlicher Reihenfolge definiert: „Stunden-Minuten-Sekunden“ sowie „Jahr-Monat-Tag“. Eine perfekt ISO-gerechte Angabe wäre beispielsweise „2024-07-24 09:54:23+01:00“. Der Wert hinter dem Plus-Zeichen gibt einen Hinweis auf die Zeitzone. In dem Fall Berlin zur mitteleuropäischen Sommerzeit.
Diese Doppel-Norm zeigt jedoch ebenfalls sehr schön, wie häufig Normen keine absolute Verbindlichkeit haben. Die meisten Deutschen schreiben im Alltag eher „Tag-Monat-Jahr“. Und in den USA nutzt man „Monat-Tag-Jahr“. Tatsächlich ist die „geläufige Datumsangabe“ nur in China, Japan, Korea und Iran deckungsgleich mit der ISO-Vorgabe.
DIN 18065
Diese Norm, die hierzulande in die meisten Landesbauordnungen übernommen wurde, ist buchstäblich ein Segen. Denn dank ihr gibt es strenge Limitierungen dessen, wie hoch, tief und breit Treppenstufen minimal und maximal sein dürfen. Wer einmal beispielsweise über mittelalterliche Treppenstufen laufen musste, weiß wahrscheinlich, wie ungewohnt sich das anfühlen kann. Etwa, weil die Stufen deutlich niedriger als das heute vorgeschriebene Mindestmaß von 140 Millimeter sind.
Ebenso definiert diese Norm unter anderem die Höhe für Treppengeländer, Brüstungen und andere Absturzsicherungen. Dadurch gibt es beispielsweise keine lebensgefährlichen Balkone, die faktisch im Nichts enden.
ISO 3103
Aktuell existieren ungefähr 25.000 ISO- und 34.000 DIN- bzw. EN-Normen. Nicht immer sind sie so maßgeblich wie die zuvor genannte DIN 18065, immer jedoch können sie zumindest interessante Leitlinien aufzeigen, um etwas „ganz richtig“ zu machen. Die ISO 3103 ist ein herrliches Beispiel dafür.
Denn sie zeigt in einer fast schon schwärmerischen Detailfülle auf, wie ein perfekter Tee zubereitet werden muss. Nicht nur geht sie auf das Mengenverhältnis von Wasser zu Teeblättern ein, sondern ebenso auf die perfekte Form von Teekanne und -Tasse. Keine Verpflichtung, aber eine perfekte Handreichung.
DIN 1451
Eine weitere Norm mit Gesetzescharakter. Sie gibt vor, welche Schriftart auf Verkehrsschildern in Deutschland zu verwenden ist. Konkret handelt es sich um eine serifenlose Linear-Antiqua. Diese Schrift geht bis aufs Jahr 1904 zurück und war zudem lange Zeit auch auf Kfz-Kennzeichen vorgeschrieben (wurde dort aber durch eine fälschungssicherere Schriftart abgelöst).
Der Effekt der Normung ist vor allem eine gleichmäßige Lesbarkeit – zweifelsohne extrem wichtig im Straßenverkehr.

Ohne Schnörkel: Dank der DIN 1451 sind alle Straßenschilder in der gleichen Schriftart gehalten und somit gut erkennbar selbst unter schlechten Bedigungen. Foto: stock.adobe.com © Jerome
DIN EN ISO 20126
Bei vielen Normen müssen selbst Laien eines zugeben: Gut, dass es sie gibt. Die DIN EN ISO 20126 macht da keine Ausnahme. Sie ist der Hauptgrund dafür, warum wir uns beim Zähneputzen nur in den allerseltensten Fällen einzelne Borsten der Bürste aus den Zahnzwischenräumen ziehen müssen. Denn dank der Norm müssen die Borsten mindestens einer Zugkraft von 15 Newton standhalten – grob umgerechnet etwa 1,52 Kilogramm.