So viel Aufmerksamkeit bekommen nicht viele politische Themen: Wenn Parlamentarier von den Stühlen aus die Redner am Pult anschreien, die Streitgespräche über Tische und Bänke hinweg geführt werden und am Ende die Präsidentin alle zur Ordnung rufen muss, dann geht es um Schulnoten. Am Donnerstag hatte die FDP es in der Bürgerschaft gewagt, mit einem Antrag die Gegner zu mobilisieren: Sie fordert Noten ab der dritten Klasse und weiß dabei laut eigener Umfrage die Mehrheit der Bürger hinter sich.
„Verstehen Sie, was der Lehrer sagt?“
Wie unverständlich die Lernstandsberichte sind, erklärte der Bremerhavener FDP-Abgeordnete Hauke Hilz mit Leistungsbeschreibungen, die seine Tochter in der vierten Klasse bekommen hatte: „Sie führt Gespräche und redet dabei funktionsangemessen.“ Oder: „Sie zeigt Interesse an unterschiedlichen Schreibanlässen.“ „Verstehen Sie, was der Lehrer sagt?“, fragte Hilz.
Er nicht. Und viele Eltern mit Migrationshintergrund auch nicht, vermutet er. Erst recht nicht die vielen Schüler, die noch in der achten Klasse Leseschwierigkeiten haben. „Wir brauchen Bewertungen, die verstanden werden, auch von den Eltern“, sagte Hilz.
Dabei sollen die Lernstandsberichte nicht abgeschafft werden. Sie soll es weiterhin geben, allerdings ergänzt um eine Note quasi als Übersetzungshilfe. Dennoch: Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linken lehnte den Antrag rundweg ab. „Ziffernnoten sagen nichts dazu, wo die Kompetenzen eines Kindes liegen“, sagte Gönül Bredehorst (SPD). Sie seien nur scheinbar objektiv und demotivierten die Kinder. „Ziffernnoten helfen wenig. Gespräche über die Kompetenzen der Kinder haben den größten Mehrwert“, betonte sie.
Aber finden solche Eltern-Gespräche mit den Lehrern tatsächlich statt? Auch in den Problem-Stadtteilen? Genau das bezweifelt Yvonne Averwerser von der CDU, die den Antrag unterstützt: „Lernentwicklungsberichte funktionieren nur unter optimalen Rahmenbedingungen, und davon sind wir meilenweit entfernt.“ Ein enger Austausch zwischen Eltern und Lehrern sei wünschenswert, aber der findet nicht statt“, sagte sie. Es gebe zu viele Schulabbrecher, weil deren Leistungsstand nicht bekannt sei, trotz der Lernentwicklungsberichte. Noten sollten die Eltern aufwecken: Komm zum Gesprächsangebot des Lehrers, betonte Averwerser.
Das Selektionssystem der Jesuiten
Christopher Hupe (Grüne) erinnerte die Kollegen daran, dass die Jesuiten Noten vor 500 Jahren eingeführt hätten: „Nicht aus pädagogischen Gründen, sondern um Selektion zu ermöglichen.“ Für Miriam Strunge (Linke) sind Noten ebenfalls eine rückwärtsgewandte Idee. „Sie sind oft ungerecht und reflektieren nicht die subjektive Lernfähigkeit.“
Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) nennt als Beispiel für die Ungerechtigkeit von Noten ein Kind, das sich sehr anstrengt und aufholt und trotzdem eine schlechte Note bekommt, weil angesichts der schwierigen Ausgangslage die Lerndefizite noch groß sind. „Ziffernnoten sind extrem erklärungsbedürftig und gefährlich, weil sie Kinder stigmatisieren“, sagte die Senatorin. Und die Kritik von Averwerser, der Austausch zwischen Lehrern und Eltern finde nicht statt, nannte sie „realitätsfern“. Sie missachte die Arbeit der Lehrer.
Dass Noten Frust auslösen können, bezweifelt Jan Timke (BIW) nicht. „Aber sie motivieren auch, es beim nächsten Mal besser zu machen“, glaubt er. Noten würden Kinder auf die Arbeitswelt vorbereiten, wo sie später ständig bewertet werden.