Selsingen

Angst vorm Wolf: Weidetierhalter sorgt sich in Grafel um seine 200 Milchkühe

Für viele Kühe ging es in der vergangenen Woche das erste Mal nach dem langen Winter endlich wieder auf die Weide. Doch was für die Tiere das reinste Vergnügen ist, bereitet vielen Weidetierhaltern mittlerweile große Sorgen.

Als Bio-Landwirt ist Henning Borchers auf die Weidetierhaltung angewiesen. Doch mit dem Wolf in Anderlingen macht er sich zunehmend Sorgen um seine Milchkühe.

Als Bio-Landwirt ist Henning Borchers auf die Weidetierhaltung angewiesen. Doch mit dem Wolf in Anderlingen macht er sich zunehmend Sorgen um seine Milchkühe. Foto: Kerouche

Dass Weidetierhalter unter den Landwirten die Vierbeiner nur mit gemischten Gefühlen nach draußen lassen, hat laut dem Landvolk-Kreisverband Bremervörde-Zeven einen Grund. Denn in der hiesigen Region fühle sich mittlerweile auch der Wolf sehr heimisch. Bio-Landwirt Henning Borchers aus Grafel sorgt sich deswegen um seine 200 Milchkühe.

Gerade erst wurden in der Gemeinde Anderlingen, wo sich der Biohof Mojenhop der Familie Borchers in siebter Generation befindet, zwei Wölfe gesichtet. „Noch ist hier nichts passiert, aber ich habe wirklich Respekt vor der Situation“, sorgt sich Henning Borchers. Der junge Landwirt hat für seine Bio-Milchkühe die Weidesaison eröffnet. Auf einer 20 Hektar großen Weide hinter dem alten Bauernhaus haben die Weidetiere viel Auslauf und fühlen sich dort sehr wohl.

Wegen der Weide-Größe kommt wolfsabweisender Zaun nicht infrage

Durch die belegten Wolfssichtungen könnte der Bio-Landwirt die Förderung eines wolfsabweisenden Zaunes bewilligt bekommen. Dennoch kommt diese Möglichkeit für den Mojenhop nicht in Betracht. „Allein durch die Größe der Weide wäre ein solcher Zaun hier nicht umsetzbar.“

Die Kosten für den Aufbau allein für diese Weidefläche lägen bei über 20.000 Euro. Gefördert wird nämlich nur das Material. „Aber das richtig Teure ist die Pflege des Zaunes - das ist für uns nicht machbar.“ Denn die 20 Zentimeter über dem Boden liegende unterste Litze des wolfsabweisenden Zaunes muss im Sommer wöchentlich freigeschnitten werden, damit der Strom nicht ableitet.

Junglandwirt liebäugelt mit zaunloser Zukunft wie in Skandinavien

„Außerdem bleiben an den wolfsabweisenden Zäunen viele Wildtiere hängen. Das wollen wir auf keinen Fall“, erklärt Henning Borchers. Überhaupt träumt der Junglandwirt von einer neuen zaunlosen Zukunft.

„In Skandinavien wird bereits eine ganz neue Technologie eingesetzt. Die Kühe werden mit Sensoren ausgestattet. Über einen digital erstellten virtuellen Zaun bekommt die Kuh akustische Signale, wenn sie eine Grenze übertritt. Das würde die Weidetierhaltung auf ein völlig neues Level bringen. Wir könnten die Weidefläche noch erweitern, dem Aufwuchs anpassen und zum Beispiel auch zeitweise Zwischenfrüchte auf Ackerflächen beweiden“, zeigt sich der Bio-Landwirt begeistert. „Doch leider ist das bei uns mit der Wolfsproblematik nicht machbar.“

Bio-Betrieb sieht seinen Status durch den Wolf gefährdet

Zudem sieht Henning Borchers seinen Bio-Status durch den Wolf gefährdet. „Eine Voraussetzung, als Bio-Betrieb anerkannt zu werden, ist die Weidetierhaltung. Aber ich weiß nicht, ob ich nach einem Wolfsriss erneut das Risiko eingehen würde, meine Milchkühe auf die Weide zu lassen. Die bittere Konsequenz wäre für uns, dass wir nach über 22 Jahren Biolandwirtschaft auf konventionelle Landwirtschaft umstellen müssten.“

Die Sorge der Weidetierhalter, ob Schafe, Pferde oder Kühe, bekommt auch Alexander von Hammerstein als Vorsitzender des Landvolk-Kreisverbandes Bremervörde-Zeven mit. „Die Weidetierhaltung ist von allen Seiten gewünscht, dennoch merken wir bei unseren Mitgliedern, dass viele Angst haben, ihre Tiere auf die Weide zu lassen. Die Politik muss jetzt handeln.“

Landwirt fordert von der Politik klare Regulierung der Wolfspopulation

Auch Henning Borchers sieht die Politik in der Pflicht. „Es müssen klare Regeln getroffen werden. Wir wollen ja nicht, dass der Wolf ausgerottet wird, doch wie in den skandinavischen Ländern muss der Wolfsbestand reguliert werden. Sonst wird die Anzahl der Weidetier- und Biohalter in Niedersachsen weiter sinken. Und das kann keiner wollen.“

Hintergrund: 1996 wurde erstmals ein Wolf in Deutschland gesichtet. 2021/22 lebten laut Bundesumweltministerium 161 Rudel, 43 Paare und 21 territoriale Einzeltiere in Deutschland. Im Landkreis Rotenburg leben fünf Rudel. Die Zahl der Wölfe wird auf 20 bis 25 Tiere geschätzt - mit steigender Tendenz. Mit der Rückkehr des Wolfes ist die Zahl der Wolfsübergriffe auf Nutztiere gestiegen.

Meistens sind hierzulande Schafe die Opfer von Wölfen

Im Jahr 2017/18 wurde ein Wolfsübergriff mit einem toten Tier im Landkreis Rotenburg verzeichnet. Seitdem ist die Zahl der Übergriffe ebenso wie die Anzahl der Wölfe insgesamt gestiegen. 2020/21 wurden zwölf Wolfsübergriffe mit 19 toten Tieren und 2021/22 fünf Wolfsübergriffe mit 17 toten und 13 verletzten Tieren verzeichnet. Am meisten fallen dem Wolf hierzulande Schafe zum Opfer - aber auch vor Pferden und Rindern macht Isegrim längst nicht mehr halt. (pm)

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