„Body Positivity“, ein Begriff, der aktuell Social Media überschwemmt. Es beschreibt die Bewegung zur Akzeptanz aller Körperformen, -größen und -erscheinungen. Inhalte wie Schönheitsideale und der gesellschaftliche Druck werden kritisiert. Das Ziel ist Selbstliebe. Doch wird meiner Meinung nach oftmals die Aufklärung außer Acht gelassen. Es sind nicht immer nur die gesellschaftlichen Herausforderungen, sondern auch die gesundheitlichen, und deshalb teile ich hier meine Geschichte.
Leid, Schmerz, Kritik – Mein Problem hat einen Namen
Schmerzen, Verzweiflung, ständiges Unwohlsein und Kritik am eigenen Körper. Seit ich denken kann, sind das die Inhalte meines Alltags. Mit diesen Einschränkungen im Leben stehe ich aber nicht alleine da. Knapp drei Millionen Frauen leiden täglich mit mir. Die Ursache für unsere Schmerzen und die Selbstzweifel hat einen Namen: „Lipödem“.
Das Lipödem ist eine Krankheit fürs Leben
Die Diagnose gestellt zu bekommen, dreht alles auf den Kopf. Auf Wut und Verzweiflung kommt manchmal dennoch Erleichterung. Zumindest war es bei mir so. Endlich ergibt alles einen Sinn. Mir wird klar – ich bin nicht schuld. Der Fehler liegt nicht bei mir, denn ich habe alles gegeben. Regelmäßiger Sport, keine übermäßig schlechte Ernährung. Schuld an meinen fehlgeschlagenen Versuchen, abzunehmen und fit zu sein, ist das Lipödem. Im Idealfall wüssten jetzt alle, was gemeint ist. Traurigerweise blicken mir meist nur viele Fragezeichen entgegen.
Aber was ist das Lipödem denn jetzt eigentlich?
Darf ich vorstellen – Das Lipödem
Das Lipödem ist eine chronische Fettverteilungsstörung. Bedeutet, dass sich das Unterhautfettgewebe überschüssig an Oberschenkeln, Hüfte und Armen verteilt. Durch die ungleiche Verteilung sieht der Körper unförmig aus und egal, wie viel Sport und Diäten man macht, das Lipödem juckt das nicht. Schmerz und Verteilung sind bei jeder Frau individuell. Für mich ist es vor allem ein starker Berührungsschmerz in den Armen oder super schwere, schmerzende Beine.
Ein kleines Beispiel aus meinem Alltag: Wenn meine Katze über meine Beine läuft, könnte ich manchmal an die Decke springen. Das war für mich jahrelang normal. Ich habe vor allem die Schmerzen nicht hinterfragt. Das Lipödem taucht eines Tages einfach auf und lässt dich auch nicht mehr los. Hormonelle Veränderungen können die Krankheit auslösen. Sprich zum Beispiel, Pubertät, die Pille, Schwangerschaft oder Menopause. Wie ich schon beschrieben habe, ist neben der Gewichtszunahme der Schmerz ein echtes Problem.
Oft sehe ich auch wie verprügelt aus, weil die Haut anfälliger für blaue Flecken ist. Entschuldigt meine Wortwahl, aber: Das Lipödem ist halt ein Arschloch.
Der mögliche Weg nach der Diagnose
Nur durch Zufall habe ich 2020 erfahren, dass ich eine chronische Krankheit habe. Der Weg dahin war lang. Dank einer YouTuberin, die ihre Diagnose öffentlich gemacht hat, ist der Groschen bei mir gefallen. Und der Aufprall war ordentlich.
Ach?! Es ist gar nicht normal, dass es noch ewig wehtut, wenn mich jemand in den Arm pikst oder ich mein Bein am Tisch stoße? Das geht nicht allen so? Und vor allem: Ich bin nicht die Einzige, die viele Jahre mit den Symptomen gelebt und sie einfach hingenommen hat. Ich bin nicht allein!
Mit einer langen Liste an Beschwerden habe ich dann einen Arzt gefunden. Anlaufstellen sind zum Beispiel Lymphologe oder Phlebologe. Der Lymphologe beschäftigt sich mit der Diagnose von Erkrankungen des Lymphsystems. Die Erkennung und Behandlung von Gefäßerkrankungen sind das Fachgebiet des Phlebologen. Die meisten Hausärzte kennen sich nicht mit der Krankheit aus. Generell gibt es in der Medizin noch viel Bedarf, sich mehr mit der Krankheit auseinanderzusetzen.
Da geht viel an Lebensqualität flöten
Nachdem mein Verdacht bestätigt wurde, hieß es dann für mich: Kompressionsbestrumpfung- und Armstulpen. Kein Vergnügen, aber Linderung des Druckschmerzes. Als Bonus fühlt man sich abends nach dem Ablegen dann auch ein wenig schmaler. Die alternative Behandlung sorgt dafür, dass die Schwellung nicht überhandnimmt. Außerdem unterstützt sie den Lymphfluss.
Es gibt zudem die Möglichkeit, zur Lymphdrainage zu gehen. Beides übernimmt übrigens die Krankenkasse. Operativ gibt es nur eine Möglichkeit, die Liposuktion. Das bedeutet, dass das überschüssige Fett abgesaugt wird. Dafür sind allerdings mehrere OPs nötig, es ist nicht mit einer getan.
Das Lipödem kann in drei verschiedene Stadien eingeteilt werden. Eine Operation ist bei Stadium 3 möglich und wird auch dann erst von der Krankenkasse übernommen. Das geschieht aber nur unter bestimmten Bedingungen. Dazu gehört, dass eine mindestens sechsmonatige konservative Therapie durchgeführt wurde, also zum Beispiel das Tragen der Kompressionswäsche. Außerdem muss der Body-Mass-Index (BMI) unter 35 liegen. Der BMI ist die Maßzahl für die Klassifizierung des Körpergewichts eines Menschen in Relation zu seiner Körpergröße.
Es ist wichtig zu wissen, dass das Lipödem damit aber nicht für immer verschwindet. Ein Rest Fettgewebe wird bleiben.
Warum teile ich eigentlich meine Geschichte?
Oftmals werden wir Betroffenen nicht ernst genommen, weder von der Gesellschaft noch von der Medizin. Meistens wird einem nur Faulheit zugeschrieben und zu viele Gänge ans Süßigkeitenfach. Mal ehrlich: So geht es nicht weiter. Es ist nicht nur körperlich, sondern auch mental einschränkend, mit dem Lipödem durchs Leben zu laufen.
Mit meinem offenen Umgang möchte ich Betroffenen Mut machen, über ihr Leiden zu reden. In diesem Jahr habe ich eine Facebook-Gruppe gefunden: „Lipödem-Bremerhaven und umzu“. Gründerin ist Jessica Petrusch, die ihre Geschichte teilt und vielen Frauen Mut macht. Mit der Gruppe bietet sie einen „Safe Space“. Nach einem angenehmen Gespräch mit ihr habe ich gemerkt: Reden tut gut! Und in einem waren wir uns definitiv einig: Das Lipödem muss mehr Bühne in der Öffentlichkeit bekommen!
Jessica stößt zudem einen wichtigen Punkt in unserem Gespräch an: Eine frühe Diagnose könnte vielen Frauen helfen. Denn gerade im Teenageralter bricht die Krankheit durch die Pubertät aus. „Gut angesiedelt ist ein früher Check-Up in der Gynäkologie“, sagt Jessica zu mir.
Vielen Frauen könnte so viel körperliches und mentales Leiden erspart werden. Der Schnack mit Jessica hat mir gezeigt, dass Reden und der Austausch helfen. Sei es, um mit ebenfalls Betroffenen sein Leid zu beklagen oder um neue Ansätze kennenzulernen, wie dem Lipödem die Stirn geboten werden kann. „Und Veränderung in Medizin, Gesellschaft und Krankenkasse schaffen wir nur zusammen“.
Hier sind noch ein paar Anlaufstellen in der Region für euch:
Facebook-Gruppe: „Lipödem-Bremerhaven und umzu“
Facebook: Lipödem Hilfe Deutschland e.V.
Lymph-Selbsthilfegruppe Bremen und Umzu
Ansprechpartnerinnen: Martina Schwarz, Brigitte Brake
Telefon: 0421/824620 + 04203/7005330
Weser-Lilys - Bremen/Niedersachsen (Bremen und umzu)
Ansprechpersonen: Petra Nolte und Susanne Müller
E-Mail: Weser-Lilys@gmx.de