Sie strudelt direkt vor meiner Nase, bisschen höher als mein Kopf. Rasant rotiert die winzige Schraube um sich selbst und steht dabei in der Luft. Wie ein Hubschrauber. Und wie ein Propeller kommt es mir vor, dieses kleine braune, dürre, hauchdünne Relikt des Sommers. Schwaden von Lindenblütendüften haben meinen Weg zur Redaktion und nach Hause berauscht. Sie kennen diese kleinen grünen „Nasen“, die man sich auf die Nase klemmt? Jetzt rotiert eines dieser Lindennasenblättchen blitzschnell vor mir im Wind und mag noch nicht fallen. Ich halte dem kleinen Wunder die Hand auf und - warte. Und lasse in diesen paar Sekunden meine Gedanken strudeln. Mein Physiklehrer Meise damals - den hab ich beleidigt, mit 16 oder so, als ich in der Prüfung statt der Berechnung zum Drehmoment eines Rasensprengers - aus purer Verzweiflung, weil Zahlen und ich Erzfeinde sind - geschrieben habe: „Ist mir egal, Hauptsache das Ding funktioniert.“ Aus. Kein Wunder, dass ich heute nicht weiß, wieso das Drehmoment der Lindenblattnase wie ein Propeller funktioniert. Sie strudelt senkrecht auf meine Handfläche zu - drin. Und meine Gedanken wirbeln von Meise zu Rilke. „Die Blätter fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; wir alle fallen - es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“ Danke, kleine welke Lindenblütennase, danke Wind und Augenblick, für diese Begegnung. Das Zärtliche jenseits alles Brachialen ist manchmal zum Greifen dicht vor unserer Nase.