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Merkel übernahm dafür die volle Verantwortung. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler", betonte sie. „Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung. Qua Amt ist das so." Ein Fehler müsse als solcher benannt und vor allem korrigiert werden - „und wenn möglich hat das noch rechtzeitig zu geschehen", sagte Merkel weiter.
Dritte Welle der Pandemie
Die Idee sei „mit bester Absicht entworfen worden", betonte Merkel. Man müsse es unbedingt schaffen, die dritte Welle der Pandemie zu bremsen. „Dennoch war die Idee der sogenannten Osterruhe ein Fehler. Sie hatte ihre guten Gründe, war aber in der Kürze der Zeit nicht gut genug umsetzbar, wenn sie überhaupt jemals so umsetzbar ist, dass Aufwand und Nutzen in einem halbwegs vernünftigen Verhältnis stehen", sagte Merkel.
Die Kanzlerin erläuterte, dass zu viele Fragen - von der Lohnfortzahlung bis zur Lage in Geschäften und Betrieben - in der Kürze der Zeit nicht so hätten gelöst werden können, wie es nötig gewesen wäre.
Entschuldigung bei den Abgeordneten
Zuvor hatte die Kanzlerin in einer kurzfristig angesetzten Konferenz den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ihre Entscheidung mitgeteilt. Auch die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag wurden informiert. Merkel wiederholte die im Kanzleramt vorgetragene Erklärung anschließend nochmals zum Beginn der Regierungsbefragung im Bundestag. Dabei entschuldigte sie sich auch bei den Abgeordneten.
Bund und Länder hatten in der Nacht zu Dienstag unter anderem einen verschärften Oster-Lockdown vom 1. bis 5. April beschlossen, um das öffentliche, private und wirtschaftliche Leben stärker herunter zu fahren. Der Gründonnerstag und der Karsamstag sollten dafür zu Ruhetagen erklärt werden. Daran war aber massive Kritik laut geworden, es gab zudem große Verwirrung um die praktische Umsetzung.
Verfahrensabläufe „auch Teil des Problems"
In der kurzen Bund-Länder-Runde drückten nach Informationen die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ihren Respekt für die Kanzlerin aus und betonten die gemeinsame Verantwortung. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte nach Angaben von Teilnehmern: „Ich habe persönlichen Respekt vor der Erklärung der Kanzlerin. Es ist am Ende besser, jetzt abräumen, wenn es rechtlich nicht geht." Letztlich seien die Verfahrensabläufe „auch Teil des Problems."
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) äußerte Teilnehmern zufolge seinen „großen Respekt" dafür, dass die Kanzlerin die Verantwortung für das in der Corona-Pandemie bislang einmalige Vorgehen übernehmen wolle. Aber: „Das müssen wir alle auf uns nehmen. Wir haben diesen Weg mitgetragen und nicht widersprochen." Es sei richtig und zwingend notwendig, dass Politik berechtigte Kritik aus der Praxis aufnehme und Fehlentscheidungen korrigiere. Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) sagte dem Vernehmen nach ebenfalls, es sei gut, Dinge auch mal zurückzunehmen.
Viel Respekt für Rücknahme
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch forderte die Kanzlerin auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. „Wir haben inzwischen eine veritable Vertrauenskrise gegenüber der politischen Führung des Landes", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio fragte die Kanzlerin später im Bundestag, ob sie nicht die Vertrauensfrage stellen müsse. „Ich habe meinen Worten von eben nichts hinzuzufügen", antwortete Merkel darauf.
Mit einem derartigen Tsunami aus Kritik und Problemen hat man oben in der siebten Etage des Kanzleramtes nicht gerechnet. Dort, wo sich die Leitungsebene befindet, wo Angela Merkel sowie ihr Kanzleramtsminister und Corona-Manager Helge Braun (beide CDU) ihre Büros haben. Am Dienstag hat die Kanzlerin in der Schaltkonferenz der Unionsfraktion schon den Unmut über die Bund-Länder-Beschlüsse zu spüren bekommen. Die Stimmung sei „explosiv“ gewesen, berichtet ein Teilnehmer. Auch die Presseschau am Mittwochmorgen auf Merkels Tablet-Computer fällt vernichtend aus. Der Tag wird zum Schicksalstag der Kanzlerin.
Kanzlerin entschuldigt sich vor laufenden Kameras
Kurzzeitig keimen in Berlin sogar Rücktrittspekulationen auf, weil sich die Ereignisse so sehr überschlagen. Sonder-MPK, anschließend Auftritt vor der Presse, das in nur eineinhalb Stunden. Mancher fragt sich: Findet die geplante Befragung der Kanzlerin am Mittag im Bundestag überhaupt noch statt? Doch Merkel tritt die Corona-Flucht nach vorn an. Und wie sie das macht, hat Seltenheitswert für einen deutschen Regierungschef - die Kanzlerin entschuldigt sich vor laufenden Kameras bei den Bürgern. Das Trommelfeuer von allen Seiten gegen sie persönlich, gegen ihre Regierung und das Vorgehen in der Krise ist zu mächtig geworden.
Plan mit guter Absicht
Um die dritte Welle der Pandemie zu bremsen und umzukehren, sei die Idee der sogenannten „Osterruhe“ in guter Absicht entworfen worden, so Merkel. Der Plan sei aber nicht umsetzbar. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler gewesen. Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung. Qua Amt ist das so.“ Sie wisse, dass der gesamte Vorgang zusätzliche Verunsicherung ausgelöst habe. „Das bedauere ich zutiefst. Und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.“ Es ist eine historische Erklärung, die Merkel abgibt, zugleich aber der Tiefpunkt in beinahe 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft. Die „Osterruhe“, also Gründonnerstag alle Läden zu schließen und das Land in der Folge komplett herunterzufahren, wird jedenfalls wieder gekippt. Sie stammt freilich nicht von Merkel, sondern von ihrem Vertrauten Helge Braun.
Dinge seien nicht vorbereitet gewesen
Schon während der Schaltkonferenz mit den Ministerpräsidenten übernimmt die Kanzlerin für das entstandene Corona-Chaos die Verantwortung. „Es war mein Fehler“, räumt sie auch bei der Besprechung ein. Die Dinge seien nicht vorbereitet gewesen, es habe nur Fragen zur Umsetzung der „Osterruhe“ gegeben, aber keine Lösungen. Die Erkenntnis ist, dass man einen zusätzlichen Feiertag nicht mal eben innerhalb von zehn Tagen einführen kann. Die Probleme für die Lieferketten, für Unternehmensaufträge, die Frage der Lohnfortzahlung, der Ansturm auf den Einzelhandel an den Tagen davor, das alles und noch viel mehr ist nicht bedacht worden. Bei der Schalte Merkels mit den Ministerpräsidenten soll sogar die fehlende Auslieferung von Ostereiern eine Rolle gespielt haben.
Viel Rückendeckung
Einige Ministerpräsidenten stellen sich bei der Video-Besprechung vor die Kanzlerin. NRW-Mann und CDU-Chef Armin Laschet betont dem Vernehmen nach in der Runde: „Das müssen wir alle auf uns nehmen.“ Man habe den Weg mitgetragen und nicht widersprochen. SPD-Vizekanzler Olaf Scholz springt Merkel ebenfalls bei, niemand dürfe sich jetzt davon stehlen. „Die Verantwortung tragen wir alle, nicht nur die Kanzlerin“, hebt auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hervor. Das wiederum scheint nicht jeder so zu sehen. Ein Ministerpräsident beklagt offenbar, man stehe nun wie die „Deppen“ da.
Lauterbach: Verfechter eines harten Lockdowns
Merkel eilt dann in den Bundestag. Bevor sie von den Abgeordneten befragt wird, geht SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Plenum zu ihr. Es entsteht ein kurzer Disput, bei dem die Regierungschefin mit den Schultern zuckt - was soll ich machen, kann man daraus ablesen. Lauterbach ist Verfechter eines harten Lockdowns. Vor den Parlamentariern wiederholt die Kanzlerin dann ihre Erklärung, Applaus kommt von der Unionsseite. Erst, als sie vor dem Kanzlerinnen-Stuhl steht wird sichtbar, wie müde und zermürbt die 66-Jährige ist. Große Ringe hat sie unter den Augen.
Merkel schweigt
Aus den Reihen der AfD wird Merkel aufgefordert, die Vertrauensfrage zu stellen. Auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch fragt: „Sind Sie sicher, dass Sie die Unterstützung ihrer Fraktion und auch der sozialdemokratischen Fraktion haben?“ Die Union antwortet darauf mit lautem und langem Applaus, die SPD nicht. Merkel schweigt dazu. Sie betont: „Unser Gegner ist das Virus. Das dürfen wir nicht vergessen.“ Man müsse an vielen Stellen bei der Pandemiebekämpfung fragen, „ob es immer der effizienteste Weg war. Daraus wird man später nochmal Lehren ziehen müssen.“ Ihre persönliche hat sie am Mittwoch gezogen. Nach der einstündigen Befragung nimmt Merkel ihre Tasche und verlässt eilig den Reichstag. Im siebten Stock des Kanzleramtes wartet wieder Arbeit gegen Corona auf sie.

Christian Lindner, Partei- und Fraktionsvorsitzender der FDP, Foto: picture alliance/dpa
Was leiten Sie daraus ab? Die Situation sollte Anlass für neue Verfahren und einen Neustart der Pandemiepolitik sein. Der Bundesregierung fällt bislang nur eines ein: Wir bleiben alle möglichst lange zuhause. Die sozialen Folgen für die Familien und die Existenznot in der Wirtschaft werden zu wenig gesehen. Die FDP ist dagegen sicher, dass schon heute mehr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben auch mit Corona möglich wäre. Durch konsequentes Maskentragen, durch die Hygienekonzepte in Handel, Gastronomie, Sport und Tourismus, durch Schnelltests und durch mehr Pragmatismus beim Impfen.
Hat die Regierung abgewirtschaftet? Die Wahlperiode ist bald zu Ende. Und es ist gut, dass die Menschen bald neu über die Richtung des Landes entscheiden können. Wir als Freie Demokraten möchten aus einer künftigen Bundesregierung heraus Beiträge leisten für eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Erneuerung. Wir müssen den Staat neu handlungsfähig machen in seinen Kernaufgaben. Digitalisierung ist dabei kein Nebenthema.