Jaroslav Gerbatowski steht auf der Baustelle im Neubaugebiet Bismarckstraße in Schiffdorf. Hinter ihm brummt ein Lkw, vor ihm liegen drei frisch betonierte Tiefgaragen. Drei Mehrfamilienhäuser baut die Baufirma Gerba von Jaroslav und Silvester Gerbatowski an dieser Stelle gerade parallel und bietet sie auf dem Mietwohnungsmarkt an. Die binnen eines Jahres erneut gestiegenen Bauzinsen bereiten dem Bauingenieur keine Kopfschmerzen: „Wir spüren zwar beim Verkauf von Immobilien einen Rückgang von 60 Prozent, aber dafür steigen Anfragen für hochwertiges Mieten.“

Im Neubaugebiet „Bismarckstraße“ in Schiffdorf läuft es gut. Baufinanzierungsberater Alexander Kaireit (links) sowie Silvester und Jaroslav Gerbatowski vom Bauunternehmen Gerba realisieren hier Mehrfamilienhäuser. Die ersten seien bereits zu 80 Prozent vermietet. Foto: Heike Leuschner
So positiv wie Gerbatowski sind nicht alle angesichts der Zins- und Baukostenentwicklung im Bausektor gestimmt. „Unsere Kunden prüfen in der aktuellen Situation sehr genau, ob das geplante Neubauvorhaben oder der geplante Immobilienkauf auch unter den aktuellen Bedingungen langfristig bezahlbar ist“, berichtet Tina Blatz-Ruhnau, Pressesprecherin der Weser-Elbe Sparkasse (Wespa).
Lagen die Bauzinsen im Herbst 2021 noch bei 0,75 und bis Mitte Januar 2022 noch bei rund 1 Prozent, waren sie bis zur Mitte des vergangenen Jahres bereits auf circa 3 Prozent angestiegen. Mittlerweile zahlen private Bauherren für ein Darlehen mehr als vier Prozent Zinsen.
Rückgang bei Nachfrage nach Baufinanzierungen
„Vor diesem Hintergrund nehmen unsere Baufinanzierungsexperten einen deutlichen Rückgang bei der Nachfrage nach Baufinanzierungen wahr“, sagt die Wespa-Sprecherin. Eine ganze Reihe von Bau- und Kaufwilligen hätten ihre geplanten Vorhaben erst einmal zurückstellt. Auch staatliche Förderprogramme, die deutlich und teilweise überraschend kurzfristig reduziert bzw. vollständig beendet wurden, hätten zu der Zurückhaltung beigetragen, erklärt die Sprecherin.

Was Wespa und Voba Bauwilligen raten
Eigenkapital: Je mehr, desto niedriger sind am Ende die zu zahlenden Zinsen und die monatliche Rate. Um den Traum vom Eigenheim zu verwirklichen, empfehlen Wespa-Experten mindestens 20 Prozent der Gesamtkosten als Eigenkapital anzusparen. Bei der Voba werden 10 bis 25 Prozent empfohlen.Alternativ zum Eigenkapital kommen umfangreiche Eigenleistungen - die sogenannte „Muskelhypothek“ - in Betracht, um die Finanzierungssumme zu reduzieren.
Im Zweifel sollten Kunden ihre Vorhaben verschieben und die Zeit nutzen, um weiter zu sparen. Daher sollte man damit so früh wie möglich beginnen, optimalerweise bereits mit dem ersten Ausbildungsgehalt.
Die Banken empfehlen auch, staatliche Fördermöglichkeiten zu nutzen.
Eine endfällige Finanzierung mache nur Sinn, wenn dem Kunden nach Ablauf der Zinsbindungsfrist einmalig Beträge aus zum Beispiel Lebensversicherungen, Bausparverträgen oder Sparverträgen zufließen.
Beispielrechnung einer Bau-Finanzierung
Quelle: Volksbank Bremerhaven-Cuxland
Ralf Twarloh von der Volksbank Bremerhaven-Cuxland (VoBa) nennt konkrete Zahlen. So sei die Nachfrage nach Bestandsimmobilien von Ende 2021 bis Ende 2022 bei der Voba um rund 30 Prozent zurückgegangen. Bei Neubauten werde der Rückgang noch deutlicher. „Hier kann man sagen, dass sich die Nachfrage innerhalb eines Jahres mehr als halbiert hat“, bilanziert Twarloh. Inzwischen sei aber eine Unterbrechung dieses Trends zu spüren. Die Nachfrage nach Baufinanzierungen würde wieder leicht steigen. „Offenbar“, so Twarloh, „haben sich Bauwillige an dieses Niveau gewöhnt.“
Nachfrage nach Grundstücken fast überall rückläufig
Negative Auswirkungen auf die zahlreichen Neubaugebiete in den einzelnen Gemeinden im Altkreis Wesermünde habe die Zurückhaltung bei Bauwilligen bislang aber kaum. „Die Nachfrage nach Grundstücken ist in der Gemeinde Wurster Nordseeküste wie fast überall rückläufig, aber keineswegs zum Stillstand gekommen“, erklärt Norma Warncke, Bauamtsleiterin der Gemeinde Wurster Nordseeküste.
Zwar beobachtet Warncke für das erste Quartal 2023 einen Rückgang bei den Verkaufszahlen. Das liege aber daran, dass die Zahl der zur Verfügung stehenden freien Bauplätze in der Gemeinde zurzeit sehr gering sei. Außerdem bestehe eine Nachfrage nach Baugrundstücken weiterhin, so dass zurzeit die Bauleitplanverfahren für zwei neue Baugebiete in Dorum eingeleitet würden.
Mit ihrem Planungsverhalten steht die Gemeinde Wurster Nordseeküste nicht allein. Auch in Schiffdorf gibt es nach wie vor neue Baugebiete. So plant die Gemeinde nach Auskunft ihres Ersten Gemeinderats Christian Grüter mit Erschließungsträgern kleinere Baugebiete in Bramel und Geestenseth sowie eine Erweiterung im Gewerbegebiet Schiffdorf. Ein größeres Baugebiet mit fast 90 Wohneinheiten ist in Sellstedt vorgesehen. Das aktuell größte Neubaugebiet der Gemeinde mit insgesamt rund 160 Wohneinheiten entsteht derzeit an der Bismarckstraße in Schiffdorf.
Geestland setzt auf bedarfsgerechte Flächenentwicklung
Auch in Geestland wird die Entwicklung von Baugebieten nicht gestoppt. „Damit moderner und bezahlbarer Wohnraum entstehen kann, werden wir auch weiterhin eine bedarfsgerechte Flächenentwicklung betreiben“, teilt Geestland-Sprecher Merlin Hinkelmann mit. „Daran ändert sich grundsätzlich nichts, denn unser Augenmerk liegt auf den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen, die in Geestland wohnen und leben möchten.“
Bereits erschlossene Baugebiete würden sich nach wie vor gut füllen, berichten Gemeinden und andere Erschließungsträger unisono. Oftmals sei die Liste der Interessenten immer noch länger als das Angebot. Bei der aktuellen Vermarktung eines Neubaugebiets in Hagen zeige das besonders deutlich, berichtet VoBa-Berater Twarloh. Die VoBa Bremerhaven-Cuxland geht zwar davon aus, dass es mit der Nachfrage nicht so weitergehen wird wie noch vor zwei oder drei Jahren. „Aber man kann nicht sagen, dass der Neubaumarkt tot ist. In all unseren Baugebieten haben wir mehr Interessenten als Grundstücke.“
Wespa: Kaum Zahlungsschwierigkeiten bei Bauherren
Trotz der gestiegenen Bau- und Baufinanzierungskosten nehmen die Berater der Wespa nach Auskunft von Blatz-Ruhnau Zahlungsschwierigkeiten bei ihren Kunden nur in geringem Maße wahr. „Wir legen großen Wert auf eine solide strukturierte Baufinanzierung für unsere Kunden“, erklärt die Wespa-Sprecherin.
So würden bei der Berechnung des monatlich zur Verfügung stehenden Budgets auch die derzeitig erhöhten Lebenshaltungskosten aufgrund der hohen Inflation einfließen. „Bei einer solchen Finanzierung, die individuell auf die Kunden zugeschnitten ist, kommt es seltener zu Engpässen in der Ratenrückzahlung.“
Hohe Nachfrage nach hochwertigen Mietimmoblien
Im Schiffdorfer Neubaugebiet „Bismarckstraße“ geht gerade ein Arbeitstag zu Ende. Die Geschäftspartner Alexander Kaireit, Jaroslav und Silvester Gerbatowski werfen noch einen Blick auf die Baupläne. Wenn es die Nachfrage zulässt, werden bis Anfang 2026 hier rund 140 Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern entstehen. Dass es für das Bauunternehmen Gerba so gut läuft, führt Mitinvestor und Baufinanzierungsberater Alexander Kaireit auf die hohe Nachfrage nach hochwertigen Mietimmobilien zurück.
Aktuell habe die Gerba an der Bismarckstraße fünf hochwertige Häuser mit 40 Wohnungen im Bau. 80 Prozent der Wohnungen seien bereits vermietet. Im Januar sollen die nächsten 30 bis 40 Wohnungen mit modernen Energieträgern wie Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen folgen. „Wir spüren zum Glück keine Einbußen“, sagt Jaroslav Gerbatowski, „unsere Auftragsbücher sind voll.“
Jörg Schilling von C+S Massivbau in Nordholz beobachtet die Entwicklung auf dem Bausektor nicht ganz so optimistisch. „Wir spüren die Zurückhaltung bei den privaten Häuslebauern schon“, sagt der Geschäftsführer eines mit rund zehn Beschäftigten eher kleineren Bauunternehmens. „Die privaten Häuslebauer ziehen sich zurück und mit ihnen die Auftragslage.“ Er glaubt, dass sich die Folgen spätestens zum nächsten Jahreswechsel zeigen werden und rechnet auch mit personellen Konsequenzen in der Branche.