Jan Ostendorf steht vor dem portugiesischen Café in der Hafenstraße in Bremerhaven - und er fällt auf. Selbst wenn er nur dasteht und das Herbstwetter über sich ergehen lässt. Es dämmert. Vorbeigehende drehen sich um, schauen den großen, kräftigen Wikinger verwundert an.
Von dem halb rasierten Schädel des Hünen verschwindet ein Zopf unter einer Krone aus Leder. Ein Rentierfell bedeckt seine Schultern, schützt ihn vor Regen. Die Hose aus Leinen hat er oberhalb der weichen Lederstiefel mit Stofflappen umwickelt.
Bremerhaven-Viking Jarl Totenfaust
Er nennt sich Jarl Totenfaust und gleicht der Gestalt eines echten Wikingers. Sein außergewöhnlicher Kleidungsstil sorgt in Bremerhaven für viel Aufmerksamkeit.
Beruflich Uniform, privat historisches Wikinger-Dress
Ostendorf hat seinem Auftritt einen Namen gegeben: Jarl Totenfaust ist sein Künstlername.
Wenn er das Haus verlässt, einkaufen oder einen Kaffee trinken geht, trägt er das mittelalterliche Gewand eines Wikingers.
Bis Ostendorf sich am Morgen vollständig angezogen hat, vergeht etwa eine Viertelstunde.
Der außergewöhnliche Kleidungsstil des 30-Jährigen wird ergänzt von Tattoos. Über beide Unterarme prangt der Hammer der nordischen Gottheit Thor, verziert mit mythologischen Symbolen. Ein Totenkopf ziert seine Hand.

Das Fell auf Ostendorfs Schultern stammt von einem Rentier. Foto: Arnd Hartmann
An Tagen, an denen er eine LARP-Axt (Life Action Role Play) trägt, weckt er gelegentlich die Aufmerksamkeit von Sicherheitsdiensten. Doch seine Axt ist ungefährlich, ihr Kopf ist aus Gummi.
Ostendorf erinnert sich an eine Begegnung mit einem Polizeibeamten: „Der Polizist gab mir erst einen Daumen hoch für mein Outfit und zeigte dann auf meine Axt.“ Ostendorf bog kurzerhand die Gummiklinge zur Seite und erntete ein Lachen des Beamten.
Nur wenn er zur Arbeit geht, lässt er die Gewänder zuhause. Im Job trägt er Uniform. Der gebürtige Nordenhamer ist Hilfsausbilder in der Marineoperationsschule.

Jan Ostendorf fällt unweigerlich auf, wenn er durch Bremerhaven läuft. Foto: Arnd Hartmann
„Die meisten Leute trauen sich nicht, mich anzusprechen.“
In seiner Wikinger-Kleidung wirkt Jan Ostendorf kaum verkleidet. Selbstbewusst und freundlich sitzt er auf einem weißen Café-Stuhl vor einer Tasse Kaffee. Über ihm läuft auf einem großen Flachbildschirm stumm portugiesisches Fernsehen. Man merkt, dass er sich wohlfühlt, auch wenn er heraussticht.
Obwohl viele stehen bleiben und gucken, trauen sie sich nicht, mit dem Hünen zu reden. „Man darf mich ruhig ansprechen“, sagt Ostendorf. „Ich stehe darüber.“
Und das kann er auch: Der Hobby-Wikinger ist ein Influencer in der Szene. Sein Charakter ist gefragt. Immer wieder wird Ostendorf auf Events eingeladen. Fantasy-Festivals, Videodrehs oder professionelle Foto-Shootings. Auf Instagram hat er unter dem Namen „totenfaust“ rund 4.000 Follower.
In dem Video zu Saltatio Mortis' "My Mother told me" taucht Ostendorf mehrfach auf.
Saltatio Mortis' Video "My Mother told me" wurde auf YouTube mehr als elf Millionen Aufrufe erreicht. Jan Ostendorf ist darin zu sehen.
Regelmäßiger Gast in Musikvideos
Die deutsche Mittelalter-Rockband „Saltatio Mortis“ hat ihn mehrfach zu ihren Videodrehs eingeladen. Die Band produziert einen rauen, wüsten bis folkigen Sound, der zum Mitsingen und Feiern animiert.
Während einer Videoproduktion für den Song „Keine Regeln“ traf der Bremerhavener auf den Rapper Finch (früher Finch Asozial).
Durch die verschiedenen Musik-Clips haben den 30-Jährigen mehr als 12 Millionen Menschen auf YouTube gesehen.

Auf dem Videodreh zu „Keine Regeln“ traf Jan Ostendorf den Rapper Finch, der das Lied zusammen mit der Mittelalterrockband Saltatio Mortis aufgenommen hat. Foto: Jan Ostendorf
„Ich laufe nicht authentisch rum“
Unverzichtbar für diese Auftritte ist sein Gewand. Das bringt er zu jedem Shooting, Festival oder Dreh mit. Bis heute hat Ostendorf bereits ein paar Tausend Euro für sein Hobby ausgegeben.
Völlig aus der Zeit gefallen ist er nicht. „Ich laufe nicht authentisch rum“, sagt Ostendorf in der Ecke des Cafés. In grell beleuchteten Glaskästen liegen portugiesische Natas, Schokoladengebäck und bunte Sahnetorten. Vor dem Schaufenster wird es langsam dunkel.

Taschen hat sein Gewand nicht. An seinem Ledergürtel trägt Ostendorf alles, was er braucht. Foto: Arnd Hartmann
Unter Ostendorfs Leinenärmel blitzt eine Smart-Watch hervor. „Wenn jemand das anspricht, antworte ich, dass ich ja nicht damals lebe“, sagt Ostendorf. Der das Ganze als Hobby betrachtet.
Wikinger-Leidenschaft begann auf einem Mittelaltermarkt
Begonnen hat seine Leidenschaft für die Wikinger vor sechs Jahren auf einem Mittelaltermarkt in Rastede. „Das Mittelalter fand ich schon lange cool“, sagt er. Die nordische Kultur und Mythologie bewegten ihn dazu, sich als Wikinger zu kleiden.
Zwar ist Ostendorf getauft und konfirmiert. Der Kirche kann er jedoch nichts abgewinnen. „Ich fand die Bibel immer schon extrem langweilig“, sagt er. Den nordischen Göttern aber kann er auch nichts abgewinnen. Die Runen und die Geschichte interessieren ihn, auch das historische Handwerk.

Bei professionellen Fotoshootings posiert Ostendorf regelmäßig mit echten Tieren. Foto: Stephan Harms/ Helheimshots
25 Stunden an seiner Lederkrone genäht
In der Szene tauscht man seine gestalterischen Fähigkeiten aus, erzählt er und nimmt die lederne Krone von seinem Kopf in die Hand. Jan Ostendorfs Spezialität sind Lederarbeiten. Für seine Jarlskrone, das Zeichen eines Wikingergrafen, hat er gut 25 Arbeitsstunden gebraucht. Den Kopfschmuck nähte er mit der Hand und arbeitete aufwendige Verzierungen ein.

Wenn unterwegs etwas kaputtgeht: Das Nähzeug zum Reparieren der Kleidung ist immer dabei. Foto: Arnd Hartmann
Bevor er das mittlerweile hell beleuchtete Café an der Hafenstraße verlässt, setzt Jan Ostendorf seine Krone wieder auf den Kopf. An der Tür nach draußen spricht ihn eine Gruppe Männer freundlich auf seine Kleidung an. Lachend deuten sie auf das große Horn an seinem Gürtel. "Zum Biertrinken?", fragen sie. Ostendorf antwortet ruhig: „Das ist ein Signalhorn.“ Alkohol trinkt er keinen.
2024 endet Jan Ostendorfs Dienst an der Marineoperationsschule: „Bis dahin muss ich entweder Filmstar werden oder ich suche mir etwas Normales“, sagt er mit einem Lachen.