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„Die Entführung“: Grishams Anwalt kehrt in die Wüste zurück

Mitch McDeere ist zurück – besser bekannt als Tom Cruise aus der Verfilmung von „Die Firma“. Der Anwalt reist in „Die Entführung“ in die Wüste. Doch NZ-Redakteur Jan Iven war ziemlich enttäuscht von dem Roman, der nun als Taschenbuch erschienen ist.

Mehr als 30 Jahre nach seinem Bestseller „Die Firma“ veröffentlicht John Grisham das Nachfolgewerk „Die Entführung“.

Mehr als 30 Jahre nach seinem Bestseller „Die Firma“ veröffentlicht John Grisham das Nachfolgewerk „Die Entführung“. Foto: Jan Iven

Mitch McDeere hatte sich geschworen, nie wieder nach Memphis zurückzukehren. Nicht nachdem, was er damals bei seinem allerersten Job in der Kanzlei Bendini, Lambert & Locke erlebt hatte. In John Grishams bekanntesten Bestseller „Die Firma“ von 1991 und der gleichnamigen Verfilmung mit Tom Cruise war der damals noch junge Anwalt in die Fänge der renommierten Kanzlei geraten, die eigentlich nur zur Tarnung von Mafiaaktivitäten diente. Irgendwie war Mitch McDeere damals mit dem Leben und ohne Gefängnisstrafe aus der Sache herausgekommen und hatte seine korrupten Kollegen, das FBI und natürlich die Paten ausgetrickst. Am Ende war er verdammt zu seinem ständigen Leben auf der Flucht.

Vom Leben auf der Flucht zum erfolgreichen Star-Anwalt

Doch nun ist Mitch McDeere zurück in Grishams offiziellem Nachfolgewerk „Die Entführung“, das im Februar 2024 erschienen ist. Und gemessen an den Ausgangsbedingungen des ersten Romans geht es ihm erstaunlich gut. Der Jurist ist schon längst nicht mehr untergetaucht und arbeitslos, sondern mittlerweile erfolgreicher Partner bei Scully & Pershing, der größten und angesehensten Kanzlei von ganz New York, ach was, der ganzen Welt, mit Niederlassungen rund um den Globus. Grisham-Fans kennen die Kanzlei bereits aus „Der Anwalt“ als Tretmühle für junge Jura-Absolventen.

Natürlich muss Mitch McDeere zunächst doch noch einmal zurück nach Memphis, um seine Dämonen zu bekämpfen und vor allem, um die Leser daran zu erinnern, dass es sich bei dem vorliegenden Buch um den Nachfolger von „Die Firma“ handelt. Und so verdonnert ihn sein Arbeitgeber zu einem Pro-Bono-Fall, eine aussichtslose Revision eines verurteilten Polizisten-Mörders, die ihn zurück an den alten Schauplatz führt.

Der kurze Ausflug in die Vergangenheit bleibt allerdings eine unbedeutende Episode. Als Anwalt ist Mitch McDeere in New York inzwischen vor allem mit internationalen Wirtschaftssachen betraut. Eine Reederei kriegt ihre Ware nicht aus dem südafrikanischen Zoll? Mitch ist genau der Richtige für den Fall. Und dann schickt John Grisham seinen Star-Anwalt schließlich in die Wüste. Genauer gesagt nach Libyen.

„Die Entführung“ spielt 15 nach „Die Firma“

„Die Entführung“ spielt 15 Jahre nach seinem Vorgänger, also im Jahr 2005. Das hat den Vorteil, dass Mitch noch jünger ist und der Wüstenstaat als Kulisse dienen kann, ohne das aktuelle politische Weltgeschehen zu sehr problematisieren zu müssen. Damals haben sich die USA gerade im Irak verkämpft und Gaddafi herrscht immer noch ziemlich lebendig in Libyen.

Der Diktator hat sich von einer türkischen Baufirma eine riesige Brücke für eine Milliarde Dollar mitten in die Wüste bauen lassen – und will nur die Hälfte bezahlen. Mitch McDeere soll im Auftrag der Türken das Geld von den Libyern eintreiben. Erfahrungen mit der Mafia können da sicher nicht schaden.

Bei seiner Fahrt in den Wüstenstaat wird er von einer jungen Anwaltskollegin begleitet – die natürlich brillant und bildhübsch ist. Doch Mitch bleibt standhaft, da er immer noch glücklich mit Abby verheiratet ist, die ihm trotz des ganzen Schlamassels aus „Die Firma“ die Treue gehalten hat. Wegen eines merkwürdigen Vorfalls muss Mitch die junge Anwältin allerdings allein zur Brücke in die Wüste fahren lassen. Dort wird sie – der Name des Romans kündigt es bereits an – entführt.

Von da an könnte die Geschichte so richtig an Fahrt aufnehmen – doch leider tut sie es nicht wirklich. Stattdessen quälen sich jede Menge Anwälte durch jede Menge ergebnislose Krisen-Meetings, in denen sie sich sogar selbst langweilen. Wie soll es da erst dem Leser ergehen?

John Grisham kann auch wieder einmal nicht der Versuchung widerstehen, seinen Juristen bei Besprechungen jede Menge Gebäck und Kaffee zu reichen – oder eben Tee in London und Espresso in Rom. Was sonst.

Merkwürdig: Immer wieder beschreibt Grisham in „Die Entführung“ ausführlich, wie Ehefrau Abby in ihrer Küche mit verschiedenen Köchen Rezepte ausprobiert. Dafür, dass diese Passagen keinerlei Relevanz für die Story haben, sind sie allerdings viel zu lang.

Der Autor unternimmt mit „Die Entführung“ einen Ausflug in das Genre des internationalen Polit-Thrillers – allerdings nur halbherzig. Nachdem die Spezialkräfte scheitern, sollen es natürlich die Anwälte richten. Das ist in der libyschen Wüste aber nicht wirklich glaubhaft.

Dicke Spesenkonten, Villen und Privatjets mögen die Jurastudenten unter den Lesern faszinieren und in einer altehrwürdigen Kanzlei auch ihre Berechtigung haben – im Kampf gegen den internationalen Terrorismus taugen sie aber nur sehr bedingt. Irgendwann würde man von einem klassischen amerikanischen Helden erwarten, dass er doch noch mal zur Waffe greift.

Das alles soll aber nicht heißen, dass „Die Entführung“ langweilig wäre. Der Roman ist nur nicht so spannend, wie er sein könnte. Der Leser möchte schon wissen, was als Nächstes passiert. Genauer gesagt möchte er wissen, ob überhaupt noch etwas passiert.

Doch John Grisham zelebriert erst einmal die Langsamkeit. Selbst die Entführer brauchen geschlagene vier Wochen oder 200 Seiten, um sich nach der Entführung endlich bei der Kanzlei zu melden und Forderungen zu stellen. Das heißt: Der Leser erfährt erst nach mehr als der Hälfte des Buches von dem irrsinnig hohen Lösegeld, das die Handlung vorantreiben könnte.

Die Forderung steht aber bereits im Klappentext und ist damit schon vor Beginn der Lektüre bekannt. Trotzdem tappt der Leser die meiste Zeit über gemeinsam mit den Anwälten im Dunkeln und weiß nicht, wer und was überhaupt hinter dem Verbrechen steckt. Das ist eher frustrierend als spannend.

Um für ein bisschen Aufregung zu sorgen, lässt Grisham seinen Star-Anwalt seine Kinder zwischendurch in dem Wochenendhaus eines Kollegen in Sicherheit bringen. Doch auch auf einen möglichen Show-Down mit den Schurken am Meer – wie er in jedem klassischen Plot folgen würde – wartet der Leser vergeblich.

Auch sonst lässt Grisham so ziemlich jede Wendung aus, die sich aus der Handlung heraus eigentlich aufdrängen würden. Sollte „Die Entführung“ jemals verfilmt werden, müssten die Drehbuchautoren die Story sicher erst einmal ordentlich aufpolieren. Sehr viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass dieser Film niemals gedreht wird. Geschweige denn, dass sich Tom Cruise für den Nachfolger hergeben würde.

„Die Entführung“: Eine Fortsetzung, die keine ist

Unterm Strich lebt „Die Entführung“ vor allem von dem berühmten Vorgänger, was natürlich ein bisschen wenig ist. Und es überrascht, weil John Grisham normalerweise problemlos Spannung erzeugt. Doch leider scheitert der Autor an den hohen Erwartungen, die sein Bestseller „Die Firma“ weckt.

Und so ist „Die Entführung“ eine Fortsetzung, die eigentlich niemand braucht. Trotzdem will der Leser natürlich wissen, ob diese ganze Entführungskiste nicht doch irgendetwas mit den alten Mafia-Geschichten in Memphis zu tun hat. Zu irgendeiner Wendung muss so ein berühmter Vorgänger doch schließlich noch gut sein. Oder?

Empfehlung: Für eingefleischte Grisham-Fans mit viel Geduld. Lieber noch einmal „Die Firma“ oder „Der Anwalt“ lesen.

Dieser Text wurde erstmal am 14. Mai 2024 auf unserem Portal veröffentlicht.

Jan Iven

Reporter

Jan Iven stammt aus Hamburg und ist seit 2023 bei der NORDSEE-ZEITUNG. Der Reporter hat Politik und Journalismus in Leipzig studiert. Unterwegs ist er vor allem in Beverstedt und Hagen. Als Norddeutscher liebt er die Schiffe, das Meer und den Hafen.

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