Die Blümchenbluse erinnert an die warmen Tage. Daneben ein fröhliches Ringel-Shirt. Rotraud Ess greift nach dem Kleiderständer: „Während des Lockdowns haben viele Leute aussortiert, aber die Spenden, die wir bekommen haben, waren vorwiegend Sommersachen“, erzählt die Leiterin der Kleiderkammer. Im vergangenen Winter konnten sich deren Kunden dort überhaupt nicht eindecken, da die Einrichtung wegen der Pandemie geschlossen war. Umso größer ist der Bedarf bei vielen Bedürftigen in der Seestadt mittlerweile.
„Die Nachfrage ist riesig. Die Menschen sprechen uns gezielt auf warme Kleidung an. Besonders für Herren und Kinder sieht es momentan zunehmend schlecht aus.“ Ganz dringend benötigt würden warme Winterjacken, Hosen, Stiefel und Pullover. „Aber auch Unterwäsche, Strumpfhosen, Bettwäsche. Im Prinzip alles.“
Je nach Kleidungsstück wird ein Preis bis zu zwei Euro fällig
Gestern hatte Edith Zender Glück: „Diesen Kapuzenpullover habe ich gekauft. Er ist kuschelig warm und wie neu“, sagt sie froh. Anja Arens kassiert bei ihr gerade zwei Shirts ab. Zum Drunterziehen. Auch das wärmt. Je nach Kleidungsstück wird ein Preis bis zu zwei Euro fällig, erklärt Rotraud Ess die Modalitäten. „Davon finanzieren wir den Betrieb der Kammer. Und auch die Abholung der Spenden von Menschen, die diese nicht selber bringen können.“

In der Nähstube bessern Bahar Haji Rascho (links) und Gkioulsefa Uglou Spenden aus oder nähen Neues aus Stoffen. Foto: Lammers
Einkaufen dürfen hier Kunden, die einen Leistungsnachweis vom Jobcenter oder dem Sozialamt haben. Fünf Leute suchen gleichzeitig in den Regalen, auf Kleiderständern und in Wäschekörben nach Bekleidung. „Mehr dürfen es wegen der Pandemie nicht sein“, erläutert Waltraud Ess.
Manches ist kaum getragen
Am Hintereingang kann die Kammer-Leiterin wenig später einen Beutel mit Kleidungsstücken entgegennehmen. Angelika C., die hier nicht mit vollem Namen genannt werden möchte, ist froh, ihn abladen zu können: „Die Sachen sind kaum getragen. Es waren mitunter Fehlkäufe, oder die Sachen passen einfach nicht mehr. Aber immer ist das, was ich abgebe, zu gut, um es wegzuwerfen“, erzählt sie. „Ich freue mich, wenn sie jemand gebrauchen kann. Verarmen kann jeder. Das geht manchmal ganz fix“, sagt die Frau in der dicken blauen Jacke und der goldbestickten Mütze, bevor sie winkend das Gebäude verlässt. Rotraud Ess winkt ihr hinterher, lächelt und bringt den Sack in die Sortierstube.

Rotraud Ess, Leiterin der Awo-Kleiderkammer Foto: Lammers
Dort werden die Spenden gesichtet und zusammengelegt. „Wenn wir Wintersachen bekommen, sind die im Handumdrehen verkauft. Sachen mit kleinen Defekten kommen direkt in unsere Nähstube.“ Bahar Haji Rascho und Gkioulsefa Uglou fertigen dort gerade Taschen aus gespendeten Stoffen. Sie sind zwei von neun Beschäftigten, die den Betrieb der Kleiderkammer am Laufen halten. Einige von ihnen arbeiten ehrenamtlich, andere verdienen sich als 1,50-Euro-Kräfte etwas Geld zum Hartz IV oder zur Sozialhilfe dazu.
Auch Salama Othmann arbeitet heute Morgen in der Kleiderkammer. Sie betreut den Flohmarkt. Vorsichtig putzt sie ein gespendetes Sektglas, das auf einen neuen Besitzer wartet. Ebenso wie ein paar Haushaltsgegenstände. Doch wer hier darauf hofft, Spielzeug für das Weihnachtsfest kaufen zu können, dürfte aktuell enttäuscht werden. „Eigentlich fehlt es auch hier an allem. Vom Spielzeug bis zum Essgeschirr können wir alles an Spenden gebrauchen“, sagt Rotraud Ess.