Dass es nach der Prognose der Wahlergebnisse in Bremen und Bremerhaven am Sonntag nicht viel außer ein paar Interviews und die typischen Jubel- oder Enttäuschungsbilder zu senden geben würde, war dem ZDF-Wahlteam vorher klar. Und so hatte das Zweite eine Reportage über das Land vorbereitet mit der Überschrift „Bremen - zwischen Hafen, Hartz und Hanse“. Schön gedacht und vom Prinzip gut gemacht. Doch leider springt die Berichterstattung mal wieder zu kurz. Bremen steht gut da.

Unternehmer Marco Bremermann entwickelt Immobilienprojekte in bester Lage in Bremen. Foto: screenshot ZDF
Da wird ein Bauunternehmer porträtiert, dem jedes zweite Haus am Wall in bester Lage gehört und der die nächste Immobilie fertig hat. Da ist der Arbeiter im Stückguthafen in Bremen zu sehen, den es von Delmenhorst in die Stadt gezogen hat, der sein gutes Auskommen und es geschafft hat, vom einfachen Arbeiter zum Schichtführer aufzusteigen. Da treffen sich alternativ geprägte Jugendliche im Viertel und leben ihr Großstadtflair. Und da gibt es die Studentin, die im Dualen Studium in den Weltraum geht, bei OHB an Satelliten Stecker verschraubt und nebenher im Ruderklub Runden auf der Weser dreht. So sieht Zukunft aus.
Als wenn Bremerhaven nur Lehe und Armut ist
Und zu Bremerhaven, hm, da fällt den ZDF-Autoren auch etwas ein: Harter Schnitt, Lehe, 30 Prozent Arbeitslosigkeit, angemerkt und nicht erwähnt, dass Bremerhaven knapp vor Gelsenkirchen zwar Deutschlands Schlusslicht ist, aber eben nicht 30, sondern 14 Prozent Arbeitslosigkeit hat. Aber die Zahl sitzt. Da tritt ein junger Mann auf, sehr sympathisch. Einer, der sich aus dem Schlamassel seiner gefühlten und erlebten Benachteiligung als in Bremerhaven geborener Migrant befreit hat, der ehrenamtlich das Hood Training für Jugendliche betreut, wo die Kids ihren Frust an Boxsäcken rauslassen können und ihr Selbstvertrauen im Miteinander stärken. Ein tolles Projekt, sympathisch erzählt, doch die Schnittbilder aus Bremerhaven spiegeln die ganze Traurigkeit des Seins wider - wieder einmal.

Hafenarbeiter Dennis Kasten stand in der ZDF-Reportage stellvertretend für die Arbeit in den Häfen, erzählt am Beispiel des kleinen Stückgutbereichs in Bremen. Foto: screenshot ZDF
Denn wieder wird bequem auf Stereotype zurückgegriffen.
Die Geschichten des Gelingens schlagen nicht durch
Aber warum ist das so? Immer wieder. Ist es zu mühsam für ein TV-Team, für eine zweite Geschichte nach Bremerhaven zu kommen und hier von den Chancen zu berichten? Ist es zu mühsam, an die guten Geschichten, die Geschichten des Gelingens zu kommen?

Studentin Emma Maurer arbeitet im Studium beim Raumfahrtunternehmen OHB in Bremen und stand damit in der ZDF-Reportage stellvertretend für die Wissenschaft und Zukunftsfähigkeit. Foto: screenshot ZDF
Wer sich nicht entscheidet, für den wird entschieden
Das kann man blöd finden und meinen, die Journalisten hätten doch nur genauer hinschauen sollen. Das ist aber zu einfach. Man darf, nein, man muss sich als Verantwortlicher der Stadt sehr wohl an die eigene Brust schlagen und schuldbewusst „mea culpa“ rufen. Denn dass Bremerhaven immer wieder so wahrgenommen wird, hat mit den unklaren Botschaften der Stadt zu tun. Stadt der Wissenschaft, Hafenstadt, Stadt des Wasserstoffs, Stadt des Tourismus, Fischtown, Stadt des... Wer alles sein will, ist am Ende nichts - zumindest in der Wahrnehmung draußen. Und dies führt zum Kern des Problems. Wenn man alles sein will, will man sich nicht entscheiden. Und wer sich nicht entscheidet, für den wird entschieden. Heraus kommt dann das Bild des Armenhauses Deutschlands.
Ohne Ziel geht niemand los - warum auch?
Und was nach draußen als Unklarheit ankommt, kommt auch im Inneren so an. Wenn die Bremerhavener nicht wissen, wofür ihre Stadt steht, was bereits gelingt und wohin die Reise gehen soll, führt das zu Verunsicherung. Ohne Orientierung mangels Ziel tritt man bestenfalls auf der Stelle oder legt den Rückwärtsgang ein. So wie viele, die den Unwillen über Dasein und Politik der Stadt darin ausdrücken, dass sie die wählen, die gegen alles sind. Parteien, die als Populisten den Ärger kanalisieren und auf ihre Mühlen leiten. Dies aber nicht, um Lösungen zu finden, sondern um Macht zu erringen, um an Dingen festzuhalten, über die die Zeit hinweggegangen ist oder die einer Fortentwicklung im Wege stehen.
Was heißt das für den Alltag? Die Stadt und damit die Politik sind gefordert, sich klarzumachen, was Bremerhaven heute ist, was es in fünf Jahren und was in zehn Jahren sein will. Das verlangt Mut und hilft gegen Wut.

Schülerband Shelter stand in der ZDF-Reportage für das hippe, alternative Bremen mit Großstadtflair. Foto: screenshot ZDF