Bremerhaven

Ist Bremerhaven jetzt eine rechte Stadt? Was das BiW-Ergebnis bedeutet

Das Bürgerschafts-Wahlergebnis der BiW in Bremerhaven schlägt Wellen. Die Wutbürger erreichen mehr als 22 Prozent der Stimmen und sind zweitstärkste Kraft nach der SPD. Was bedeutet das für die Zukunft und wo liegen die Ursachen? Eine Spurensuche.

Die Mitglieder der Wählervereinigung „Bürger in Wut“ klatschen nach Bekanntgabe der ersten Prognose für die Wahl. 

Die BIW nennt sich bürgerlich-konservativ, wird aber oft als rechtskonservativ oder rechtspopulistisch eingestuft. Foto: IMAGO/Eckhard Stengel

Bei der Bürgerschaftswahl haben mehr als 22 Prozent der Bremerhavener den rechtspopulistischen „Bürgern in Wut“ ihre Stimme gegeben. Was bedeutet das Ergebnis?

Viele aus der Politik haben das Ergebnis mit „erschreckend“ kommentiert. „Es ist eine einzige Katastrophe“, sagt Grünen-Politiker Michael Labetzke, ein Schlag ins Gesicht für Menschen, die sich immer für die Demokratie und gegen Diskriminierung eingesetzt hätten. Der einzige Positivaspekt: Die „BiW“ müsste nun aus der reinen Protesthaltung herauskommen, was die Gelegenheit bieten würde, sie inhaltlich in der Bürgerschaft zu stellen. „Jetzt muss auch etwas von ihnen kommen, was nicht nur heiße Luft ist.“

Hinzu kommt das Imageproblem, das der BiW-Erfolg Bremerhaven bundesweit bereitet hat. Wieder ist die Stadt in den Schlagzeilen, weil die Rechten hier punkten können. „Ich räume ein, dass das gute Abschneiden der BIW bei der Bürgerschaftswahl in Bremerhaven sehr schlecht für die Außenwirkung unserer Stadt ist. Ich bedaure zutiefst, dass es denjenigen, die in den vergangenen vier Jahren viel für Bremerhaven bewirkt haben, offenbar nicht gelungen ist, den Anteil der Protestwähler zu verringern“, kommentiert Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) das Ergebnis.

Rechtes Wählerpotenzial gibt es seit Jahrzehnten in der Stadt

Wer hat die Bürger in Wut gewählt - und wieso?

Zunächst sehen viele den BiW-Erfolg eng verknüpft mit dem Nicht-Antreten der AfD. Wer sonst die AfD gewählt hätte, machte jetzt sein Kreuz oftmals bei den Wutbürgern.

Der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst bescheinigt Bremerhaven seit Jahrzehnten ein gewisses Wähler-Potenzial für rechte Parteien, angefangen bei der DP in den 1950er Jahren, dann über NPD, DVU und AfD bis hin zu den Bürgern in Wut. Die Werftenkrise verbunden mit Arbeitslosigkeit und sozialer Schieflage habe diesen Parteien weitere Wähler gebracht.

Im Porträt: Martin Günthner von der SPD-Bremerhaven.

Im Porträt: Martin Günthner von der SPD-Bremerhaven. Foto: Arnd Hartmann

SPD-Chef Martin Günthner sieht zusätzlich auch Menschen unter den BiW-Wählern, die sich ganz speziell über einzelne Themen geärgert haben, etwa über das „Heizungsthema“, das nicht unterschätzt werden dürfte und bei vielen Hausbesitzern existenzielle Sorgen und Wut ausgelöst habe. Die BiW-Wählerschaft reiche bis in die gesellschaftliche Mitte. Der Blick auf BiW-Hochburgen in Bremerhaven zeigt, dass unter anderem im Ortsteil Schierholz teils über 35 Prozent der Menschen für Timke und seine Mitstreiter stimmten - dort stehen aber eher schicke Einfamilienhäuser und Autos. Dort ist allerdings die russlandstämmige Gemeinschaft überproportional vertreten.

„Russlanddeutsche haben in der Vergangenheit überproportional für AfD gewählt. Sie sind eher auf eine konservative Law and Order Politik nach russischem Gusto orientiert“, erklärt Politikwissenschaftler Probst.

Michael Labetzke von den Grünen ordnet das Ergebnis in Bremerhaven gar in eine globale rechtspopulistische und autoritäre Gegenbewegung ein, die Trumps und Melonis hervorbringe (Ex-US-Präsident und Italiens Ministerpräsidentin), und auch nach Deutschland schwappe. Zudem schlügen jetzt auch die Folgen der vergangenen Krisen durch. Die Statistiken zeigen zudem, dass die Briefwähler deutlich seltener ihre Stimme den Wutbürgern gegeben haben. Außerdem wird deutlich, dass die BiW ganz stark verbunden mit der Person Jan Timke sind. Timke alleine hat mit knapp 15.000 rund zwei Drittel aller Personenstimmen der BiW in Bremerhaven eingesammelt. Die Wählervereinigung hatte - das darf auch nicht vergessen werden - durch die neue Kooperation mit „Bündnis Deutschland“ erhebliche Finanzmittel für die Kampagne zur Verfügung.

Hat man das Thema Kriminalität der BiW überlassen?


Was haben die anderen Parteien falsch gemacht?

„Es ist erschreckend, wie so ein Ergebnis mit ein paar platten Sprüchen zu erreichen ist“, hält CDU-Fraktionschef Thorsten Raschen fest. Inhaltlich sei in den vergangenen vier Jahren von denen doch kaum etwas gekommen. Doch die anderen Parteien kommen nicht umher: Sie müssen sich auch fragen, was sie hätten besser machen können. Die BiW hat vor allem die Themen Kriminalität, Ordnung und Sauberkeit gespielt. „BiW hat schon seit Jahren den Fokus darauf gelegt“, erklärt Politologe Probst. CDU und SPD hätten zwar versucht, das Thema auch zu bespielen, aber offenbar nicht in der Intensität und Glaubwürdigkeit.

Der Grünen-Politiker Michael Labetzke.

Der Grünen-Politiker Michael Labetzke. Foto: STUDIO EM

Grünen-Politiker Labetzke gibt sich für seine Partei auch selbstkritisch. Klimaschutz sei wichtig, aber der Schwerpunkt müsse in einer Stadt wie Bremerhaven auch auf sozialen Themen liegen. Labetzke erinnert zudem daran, dass in der Wahlanalyse sich nur sieben Prozent der Bremerhavener vom Bremer Senat gut vertreten fühlen - ein katastrophaler Wert, der dem Senat zu denken geben müsste. Auch Bremen-Nord - ein Bereich mit ähnlich vielen Einwohnern wie Bremerhaven - sei stiefmütterlich behandelt worden. „Timke hat das ständig ausgespielt.“ Sich als Stimme Bremerhavens in Bremen inszeniert.

SPD-Chef Martin Günthner findet, dass die Parteien wieder lernen müssten, zuerst die Alltagssorgen der Menschen in den Blick zu nehmen und dafür konkrete Lösungen zu bringen - Sauberkeit, Sicherheit, Schrottimmobilien, kaputte Straßen. Das seien die Dinge, die die Menschen bewegen. Man dürfe nicht nur auf abstrakte Themen setzen. Einige politische Vertreter der Koalition kritisieren allerdings auch die Medien: Während SPD, CDU und FDP in der Berichterstattung ständig in der Kritik stünde und man dort ein negatives Bild der Politik und Verwaltung gezeichnet habe, habe man die Bürger in Wut zu wohlwollend begleitet.

Oberbürgermeister Grantz: „Jetzt müssen wir abwarten, wie sich das Ergebnis der BIW bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung gestaltet, wo ja auch die AfD zugelassen war. Klar ist schon jetzt: Wir nehmen das Ergebnis als Ansporn, den Bürgerinnen und Bürgern die Arbeit des Magistrats noch besser zu vermitteln und die Menschen bei den anstehenden Projekten für die Zukunft unserer Stadt einzubinden.“

Jens Gehrke

Reporter

Jens Gehrke wurde in Bremerhaven geboren und ist seit 2011 im Verlag. Der Reporter, Jahrgang 1984,  fühlt sich im Cuxland genauso zu Hause wie in der Seestadt. Der Schwerpunkt liegt auf der Politik-Berichterstattung. Privat interessiert ihn vor allem der Sport.

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